© / Quelle: Der Oldenburgische Hauskalender 2004

Klumpen durch die Luft

Die Friesenspiele und ihre Ursprünge: eine Spurensuche

Hans-Joachim Teschner

Wenn Klumpen durch die Luft sausen, wenn Holzkugeln auf dem Straßenpflaster bollern, wenn derbe Bälle an ledernen Handriemen über die Grassoden hinwegpfeifen, dann sind wir mittendrin im friesischen Kampfgebiet mit seinen schleudernden und wuchtenden Einwohnern. Kloot, Boßel und Schleuderball, das sind die urtümlichen Sportgeräte, nach denen die Friesenspiele benannt wurden. Über ihre Herkunft jedoch liegt der dicke Abendnebel der Marschen und Moore.

Umso mehr treibt es uns, die Ursprünge der Wurfspiele herauszufinden. Vornehmlich in den mündlich überlieferten Sagen finden wir Hinweise, wie es dazu kam, dass der Luftraum über friesischen Gebieten, von Ostfriesland bis weit ins Oldenburgische hinein, von archaischen Geschossen durchlöchert wird. Aber leider tragen diese Sagen eher zur Verwirrung bei, andererseits liegt ihnen oft ein wahrer Kern zugrunde. So auch der Sage von dem Scharmützel zweier Riesenfräulein: In eben der Zeit, als es noch Riesen gab, zog sich die Küste Ostfrieslands wie ein glatter Saum von der Ems bis zum Wangerland hin. Zwei Riesenfräulein mit Namen Frieda und Tida gerieten sich einmal mächtig in die Haare. In ihrer Wut rissen sie große Placken aus dem Erdreich und bewarfen sich damit. Die so entstandenen Löcher sind nichts anderes als die heutigen Meere und Buchten Ostfriesland. Etliche der Placken verfehlten ihr Ziel und fielen in Nordsee. Sehr viel später besiedelten Hotelfachleute und Boutiquenbetreiber die Placken und gaben ihnen Namen: Norderney, Borkum, Juist und Spiekeroog.

Kann man nun unbesehen eine Verbindung zwischen dem Plackenwerfen und dem heutigen Friesensport herstellen, solange das missing link zwischen Erdbrocken und Boßelkugel, zwischen Kluten und Kloot nicht ausgegraben wurde?

Der Heimatvereinsvorsitzende von Wiegboldbur hält eine Erklärung bereit. "Während in der Schweiz der Käse zum Bahnhof gerollt wurde", plaudert Ommo Janssen aus der Schule "rollten die Friesen ersatzweise Lehmkugeln zur nächstgelegenen Gaststätte." Auf unsere Frage, warum denn unbedingt irgendwelche Lehmkugeln dorthin gerollt werden mussten, zuckt Ommo indigniert die Achseln. "Es ist doch unbestritten", insistiert er nachdrücklich auf seiner Theorie, "dass bis zum heutigen Tag jeder Boßelwettbewerb im Dorfkrug endet. Die Kugel will zum Bier. Das ist Gesetz."

Völlig anderer Meinung ist Dr. Dr. Rosenboom (Urologie) aus Emden: "Die Kugeln wollen in den Graben. Eisernes Gesetz ist, dass beim Straßenboßeln der Graben angepeilt und getroffen werden muss. Jeder, der Augen im Kopf hat, kann sich selbst überzeugen. Der Hauptteil des Boßelwettbewerbes besteht im Bergen der Kugeln aus dem Gubbel."

Womit die Entstehung von Boßel und Kloot auch nicht erklärt ist. Aber ist das nötig? Wie kann es denn angesichts der Weiten Ostfrieslands überhaupt jemanden wundern, dass die Einwohner fluchten und randalierten und Holzkugeln durch die Gegend warfen. Während der Oldenburger Bürger mit ein paar Schritten die Hof-Konditorei oder das Staatstheater erreicht, muss der Friese tagelang durch die Moore stapfen, über Gräben hechten, dämlich glotzende Kuhherden umrunden und seine Leber mit Kööm ruinieren, um zu guter Letzt auf einen Emder oder Auricher Stadtlümmel zu treffen, der ihn mit dem Padstock bedroht oder ihm einen Besen ins Genick wirft. Ist es nicht schon ärgerlich genug, dass Kulturzentrum und Nachrichtenbörse in einem, nämlich der Edeka-Laden, noch immer nicht in Sicht ist? Da staut sich das Blut.

An diesem Punkt setzen die Erkenntnisse des Max-Planck-Instituts für Schlammbilogie an: "Die geballte Enttäuschung der Landbewohner muss sich Luft verschaffen", erläutert Verhaltensforscher Focko Lorenz in seiner Abhandlung "Das Weidensyndrom. Über tierische und menschliche Aggression im leeren Raum." Und in seinem berühmten Forschungsbericht mit dem Titel "Er redete mit den Graubullen" kommt er zu einem verblüffenden Schluss: "So, wie der Bulle mit den Hufen Grassoden ausreißt und in die Gegend keilt, greift sich der männliche Friese den Kloot und katapultiert ihn in das vermaledeite Weideland". "Was aber", fragen wir den berühmten Tiersoziologen, "wenn er keinen Kloot zur Hand hat?" "Dann ist ihm jeder andere Ersatz recht. Jeder runde Gegenstand initiiert automatisch den Auslösemechanismus. Reichen Sie z.B. einem Ostfriesen eine Mozartkugel. Er wird "Fleu herut" brüllen oder auch "Fix wat mit" und das Konfekt wie besessen in den nächsten Graben schleudern."

Im Fachbereich XVI der Universität Oldenburg (Fossilistik) hat man nur Spott für diese Theorie übrig. "Fauler Zauber", poltert Dekan Prof. Herbert Thedinga: "Durch einen sensationellen Fund in Carolinensiel haben wir den Schlüssel für die Entstehung der Friesenspiele in der Hand." Er erstarrt, öffnet ehrfürchtig einen Wandsafe und entnimmt ihm einen schwarzglänzenden faustgroßen Klumpen. "Der Urkloot", flüster der Dekan. Liebevoll streichert er das grobe Stück. "Mit der Spektralanalyse haben wir sein Geheimnis enträtselt: Der Urkloot ist, und jetzt halten Sie sich fest, nichts anderes als hartgewordener Nasenschleim einer schwarzbunten Kuh!"

Wir flüchten.